Finanzkrise und Klimawandel zeigen Vorrang von Privatinteressen -- und Kirche?

Zu den Bildern von den großen Naturkatastrophen in den Medien will ich nur weniges erinnern:

Ein Text der “Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung” fasste 1988 in Magdeburg die Situation so zusammen(S.2): “Die Menschheit ist eine Überlebensgemeinschaft geworden, die auf Gedeih und Verderb ihr gemeinsames Überleben in und mit der Biosphäre organisieren muss … Tiefgreifende Wandlungs- und Lernprozesse liegen vor uns: … Von der Vergötzung des Wirtschaftswachstums …zur Solidarität mit den Armen.” Diese Formulierungen sind auch in der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Bern und der weltweiten in Seoul übernommen worden. Aber wieweit werden gute Texte in unserer von privatem Denken bestimmten Zeit aufgenommen?

Bei dem gerade stattgefundenen Klimagipfel in Cancun sind wieder keine verbindlichen Schadstoffemissionen beschlossen worden, obwohl vielen Menschen in den vom Hochwasser besonders betroffenen Ländern buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht.

Im Zuge von Konkurrenz und stetigem Wirtschaftswachstum haben wir uns in Jahrzehnten an viele gute Dinge gewöhnt, auch an negative: Arbeitslosigkeit, die wachsende Kluft zwischen arm und reich, Hauptsache, die Kurse steigen und die Gewinne. Die Wachstumsideologie scheint unendlich zu sein. Als 2007 von einer Bank die Nachricht kam, dass sie im letzten Jahr 70% Gewinn gemacht haben, haben sich Aktionäre gefreut. Oder sind da bei einigen auch Alarmglocken gegangen, dass dies vielleicht zu weit geht? Immerhin könnten Juden und Christen Bibelworte kennen, die das Zinsnehmen aus ihrem oben dargestellten Selbstverständnis und sozialem Zusammenhalt einschränken (3.Mose 25,36; 5.Mose 23,20f.), – Martin Luther hat gegen den Wucher geschrieben.

So ist es zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Zügellose Spekulationen haben rechtliche Lücken global ausgenutzt. Eine Großbank ging Pleite. Dies löste Kettenreaktionen aus. Jeder weiß davon. Plötzlich gab es keine Kredite mehr. Die Wirtschaft geriet ins Stocken. Unvorstellbare Milliarden von Schulden aus öffentlichen Haushalten retteten mit den “Bad-Banks” das bestehende System vor dem Zusammenbruch, den sich niemand vorstellen mag. Jeder ist mitbetroffen, bis in nächste Generationen. Länder bangen um Zahlungsfähigkeit, selbst um den Euro wird gebangt. Ein isländischer Reiseleiter sagte uns 2009 bereits, dass für jeden Isländer 1/3 seiner Einkünfte, einschließlich der Renten, verloren ist. – Von den Gewinnern wird öffentlich nicht geredet. Anfangs waren viele im Schock wie bei einer Naturkatastrophe. Aber das ist sie nicht, sagt der US-Untersuchungsbericht. Die Krise ist hausgemacht.

Wir erleben einen völlig irrationalen, religiösen Glauben an das private Geld. Dieser Glaube macht die Menschheit nicht glücklich, er bringt sie buchstäblich an den Rand des Abgrunds. Was werden arme Länder davon für Folgen tragen? Und dann wundern wir uns über Terror!

Offenbar sind nicht nur ein paar skrupellose Börsianer, Banker und Manager übers Ziel hinaus geschossen. Wer bekennt sich —wenigstens unter den Christen – im Nachhinein dazu, auch unter den Wachstumsideologen? Bisher bekannt gewordene Gerichtsurteile kann man an einer Hand abzählen. Wer möchte etwas wiedergutmachen? Wegen des Ausmaßes dieser Krise ist selbst ein Grundpfeiler der Demokratie, das Verursacherprinzip, außer Kraft gesetzt; die Steuerzahler stehen weltweit dafür ein. Wenn das so bleibt und wir uns auch daran “gewöhnen”, hätte das unabsehbare Folgen: Jeder Dieb, der einen Schaden verursacht, muss dafür einstehen. Brauchen Vermögende in der Finanzwelt das nicht? Dass es ein Recht gibt für die einen und eins für die anderen, das haben wir in der Diktatur erlebt. Entweder gibt es ein Recht für alle — auch global gegenüber jedem Privatinteresse – , oder hört die Demokratie und Rechtstaatlichkeit beim Geld auf?

So ist es spannend in der Finanzwirtschaft, wo weiterhin munter verdient wird: Regeln für die Märkte werden diskutiert, sind aber bislang international nicht durchsetzbar. Werden Verantwortliche unter Beteiligung von Christen und Kirchen gegen alle Widerstände doch das Gerechte mehrheitsfähig machen und durchzusetzen? Ein Einzelner kann es nicht.

Merkt auch kirchliche Verkündigung, dass individuell ausgerichtete Predigt in die Sackgasse führt, bzw. geführt hat? Kann angesichts des gigantischen privaten Vermögens und der entstandenen Armut weiterhin jeder Reiche sich selbstverständlich des Segens Gottes gewiss sein? Ich empfinde ein privat verstandenes Christentum in dieser Situation als Anachronismus. Ein Aufschrei der Kirchen wäre nötig! Die Urerfahrungen biblischen Glaubens sind doch gemeinsame, nicht private! Wie kann weltweite Kirche Gottes Recht und Liebe glaubhaft predigen, wenn sie stillschweigt dazu, dass die Spekulanten ihren angerichteten Schaden nicht wiedergutmachen brauchen? Ist es wirklich leichter gegen eine politische Diktatur aufzustehen als gegen die Herrschaft des Geldes?

Wir sind als Volkskirche mit unserem Erbe aus Jahrhunderten wohl tiefer verwoben in die Geschäfte dieser Welt als uns bewusst oder lieb ist. In unserer jüngsten Geschichte sind wir aber froh darüber, dass mindestens Teile der Kirchen dem Zeitgeist widerstanden haben in der “Bekennenden Kirche”, in der Judenverfolgung, in dem Attentat auf Hitler, in der Verweigerung von Treueschwüren gegenüber dem Sozialismus, in Friedensaktivitäten gegenüber atomarer Abschreckung und Kriegsideologie. Auch bei Sonntagsruhe und in sozialen Fragen wird Kirche gehört. Was muss erst noch geschehen, bis Kirche sich in Gottes Namen an den Nerv unserer Gesellschaft herantraut? Nicht, dass wir Menschen das “Himmelreich” errichten könnten oder wollten! Wohl aber, dass um Prioritäten neu gerungen wird, die sich nicht an Wirtschaftlichkeit, sondern an unserer Grundlage orientieren. “In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden” heißt es an Abraham und seine Nachkommen. Zukunft haben kleine, intensive Gemeinden, Institutionen, die im Sinne Jesu handeln, die Verzicht üben und Menschen Gutes tun. Es gibt längst solche Gruppen über die im Grunde jeder froh ist, dass es sie gibt., so auch zivile Hilfs- und Friedensdienste, die niemand allein tun kann. Alternative Netzwerke gibt es weltweit, zum Teil neben der Kirche. Könnte es sein, dass die Verheißung an “die zwei oder drei” auch denen gilt, die sich verabreden um heutige Krisen zu überwinden, selbst wenn sie diesen biblischen Zusammenhang gar nicht kennen? Gegen allen Trend gibt es Möglichkeiten, das Menschen zur Einsicht kommen und tätig werden zum Erhalt von Gottes Schöpfung!