Die Bibel ist nicht privat, – einiges zum Verständnis

Wichtig wurden mir die Einleitungen zu den einzelnen Büchern, die — auch wenn sie Mühe abverlangen -zum Verständnis helfen und den Stand der wissenschaftlichen Forschung an diesen 2ooo — 4ooo Jahre alten Texten zusammenfassen. Es gibt eine “Bibel mit Erklärungen”, die in einer fortlaufenden Spalte neben dem Text Erläuterungen bietet.

Die täglichen “Losungsworte der Herrnhuter Brüdergemeine” sind mir über Jahrzehnte lieb gewesen. Sie sind kurz, helfen zur individuellen Lebensbewältigung. Aber sie erschließen keine biblischen Zusammenhänge, fördern kein wirkliches Verständnis dieses Buches. Kalender mit fortlaufender, täglicher Bibellese und kurzen Auslegungen sind mir eine größere Hilfe.

Ich beschränke mich auf drei Stichworte, die für das Zerbrechen und Wiederfinden meines Glaubens wichtig waren: Himmelfahrt, Ostern und als Korrektiv zur Isolation “altes und neues Gottesvolk”.

Himmelfahrt “Erkläre dies mal” hieß eine der kritischen Fragen in der U-Haft, die bis heute ja nicht verstummt. Hier tritt die orientalische Bildhaftigkeit, die uns nüchternen Mitteleuropäer so fremd ist, vielleicht am deutlichsten hervor.

“Hinweggenommen werden” ist Luk.9,51 ein Terminus Technicus für Himmelfahrt. Er findet sich schon 1.Mos.5,24 von Henoch, “der in enger Verbindung mit Gott lebte”, ferner 2.Kön.2,3 von Elia und Jes.53,8 vom leidenden Gottesknecht. Diese im Alten Testament besonders herausgehobenen, wenigen Menschen sind wegen ihrer Nähe zu Gott “hinweggenommen worden”; d.h. ihr Leben ist erfüllt; mehr, eine noch höhere Anerkennung und Stellung, ist nicht denkbar. Wenn dieser Ausdruck nun für Jesus gebraucht wird, ist das in der Bibel kein Zufall, sondern wesentlich für das Verständnis. Es muss also keine intellektuellen Erklärungsnöte geben, wie sie ohne diesen Zusammenhang bestehen. Auch in dem wichtigen Psalm 73,24 begegnet dasselbe Wort: “Du nimmst mich am Ende mit Ehren an/auf”; – die mögliche Zuversicht einer/s jeden. – Unverständlich ist, dass auf diese Parallelstellen in Bibelausgaben nicht durchweg hingewiesen wird. Ich habe diese Entdeckung leider erst im Ruhestand gemacht. Luther lehrt: Die Bibel legt sich selbst aus.

Ostern: das größte Fest der Christenheit, aber wieweit kommt die Botschaft ins Bewusstsein der zunehmend säkularisierten Menschen herüber? Geht es um das Leben (des Einzelnen) nach dem Tod? Ist bei diesem heiklen, wichtigsten Thema gar Vorsicht geboten unter Theologen?
“Erkläre es mal jemandem, der keine Ahnung hat!”
Auch hier gibt es bildhaften Gebrauch vom Sterben und Auferstehen.

Stellen, die mir wichtig wurden:

  • Luk. 15,24: von dem heimkehrenden, verlorenen Sohn sagt der Vater: er war tot, jetzt lebt er wieder.
  • Röm.6 erklärt Paulus die Taufe als ein Zeichen für unser Sterben und Auferstehen mit Christus.
  • Luther erklärt in der 4. Tauffrage des Kleinen Katechismus, “dass der alte Adam in uns …soll ersäuft werden und sterben … und täglich /herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch”.
  • Hinzu kam die Emmausgeschichte Luk. 24: Bei den beiden depressiven Jüngern auf dem Heimweg ist plötzlich ein Dritter, der – völlig überraschend – Neues ermöglicht: er praktiziert das Wort und gemeinsame Mahl unnachahmlich und wird nachträglich als Jesus erkannt. Aus dem Staunen darüber erwachsen Anbetung und frohes Handeln der Gemeinde.
  • Der großzügige Stil der sogenannten “Schriftbeweise”, d.h. die alttestamentlichen Stellen in ihren jeweiligen Zusammenhängen verstehen:
    Hos. 6.1-2; Jona 2 und Matth.12,38-40; 1.Sam.2,6; Psalm 30,4; 71,20 und nicht zuletzt Hes.37, wo unglaubliche Hoffnung mit gesellschaftlichen Auswirkungen aufstrahlt.

Warum gelingt es nach den schlimmen Diktaturen so wenig, den Sieg Christi – nicht nur über den Tod, sondern – über alle zerstörerischen und resignativen Kräfte (die Bibel redet von Hölle und Teufel) fröhlich und überzeugend zu leben? Hängt das mit einem individualisierten Verständnis von der Hauptsache unseres Glaubens zusammen? Im Neuen Testament sehe ich keine Osterbegegnung, die privaten Charakter hat. In der Versuchungsgeschichte (Matth. 4,5-6), wo der Teufel Jesus zu seinem privaten Schutz einen Engel empfiehlt, schreibt “Die Bibel mit Erklärungen” : “Indem er (Jesus) eine teuflische, ichbezogene Schriftauslegung verwirft, erweist er sich als der rechte Ausleger der Schrift.”

Volk Gottes: Am Ende der Volkskirche müssen wir wohl die Urerfahrungen des auserwählten alten und neuen Gottesvolkes neu buchstabieren. Alttestamentliche Aussagen wie “Gott mit uns” sind z. B. nicht auf Deutsche oder Engländer übertragbar, wie es auf Koppelschlössern im ersten und Anfang des zweiten Weltkrieges geschehen ist.

Zum Verständnis von gemeinsamen und privaten Erfahrungen in der Bibel:

Das Volk Abrahams, Isaaks und Jakobs ist Gottes auserwählte Minderheit von Anfang an. Es hat eine unglaubliche Perspektive: “In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden”.

Wichtig ist die Erfahrung der Wüste: nicht jeder kann seinen eigenen Weg für sich gehen. Die gemeinsam erlebte Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens hat Israel nie seiner eigenen Tüchtigkeit zugeschrieben, sondern ehrfürchtig als große Tat Gottes besungen. Die Erinnerung daran wird Jahr für Jahr begangen. Was sie am Sinai erlebten, davon sind sie nie losgekommen, selbst nicht in Jahrtausenden ohne Heimat. Das “Du” in den Geboten (2. Mos. 20,2) meint — anders als nach Luthers Katechismus – das Volk Gottes und zugleich den Einzelnen, aber niemals nur das Individuum. Genauso ist es beim Segen am Schluss einer jeden Versammlung 4.Mos.6,22f. Dies ist der rote Faden durch die Bibel, der Bedeutung hat für Recht und soziales Verhalten. Das lang ersehnte “gelobte Land”, in das Israel nach viel schrecklicher Gewalt kommt, ist eine Gabe Gottes für sein Volk( – Gewaltlosigkeit kommt erst durch Christus). Das Land ist aber kein beliebiges Privateigentum (5. Mos. 26). “Die Erde ist des Herrn” Ps. 24.

Die Erwählung steht von Anfang an in Spannung zur Realität: Israel murrte, sehnte sich zurück in die Sklaverei. Das kleine Land zwischen den Großmächten ist oft der Versuchung erlegen, sein zu wollen, wie die anderen. Der Tanz um das goldene Kalb (2. Mos. 32) zeigt: Das selbstgemachte Götterbild der Heiden schien leichter zu verehren als der bilderlose Gott Jahwe, übersetzt “ich bin für euch, der ich für euch bin”. Mose und die Propheten und die Schreiber biblischer Bücher haben leidenschaftlich um Einsicht und Demut dieses Volk gerungen, ermahnt, erinnert, ermutigt. Immer wieder gab es Identitätskrisen, neue Anfänge, Bundesschlüsse, “Sabbate”, bis hin zur Katastrophe des Exils in Babylon und der Rückkehr. Ein besonderes Beispiel ist der große König David, der seine Erfolge nicht sich selbst, sondern Gott verdankt, unter dessen Nachkommen, so die Verheißung, der “Messias” sein wird. Zugleich sind seine menschlichen Schwächen und Skandale noch nach 3000 Jahren jedem offenbar, unmöglich für jeden antiken wie modernen Staatsmann. Hier erzählt das Volk Gottes von Demut, Schuld und Vergebung, von Gottes Gnade und Treue. David wird der beliebteste Psalmsänger seines Volkes. (Paulus deutet: “Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben” Rö.15,4 ).

In den Psalmen, den Liedern und Gebeten, spiegelt sich Glaube und Unglaube dieses Volkes. Menschen suchen Worte und Töne in allen Höhen und Tiefen. Israel bejubelt die Wunder seiner Bewahrung und seinen Gott, die Schöpfung und das einzigartige Bibelwort. Es bekennt Schuld und fleht um Gnade. Es schreit in Nöten und Enttäuschungen. Leidenschaftlich, bis zum Äußersten wird gerungen, denn mit den großen Versprechungen gegen die harten Realitäten steht auch Gott selbst auf dem Spiel. Dem “Gerechten” steht der “Ungerechte” gegenüber, der “Gottlose”, (ostdeutsch) besser der “Skrupellose”. “Lass nicht zu, dass Skrupellose am Ende über uns triumphieren!” heißt eine Bitte in dem Überlebenskampf des Volkes Gottes. Weil sie Sklaven waren, ist das Gefühl für soziale Unterdrückung ausgeprägt(der Wortstamm “gerecht” kommt etwa 265 mal in der Bibel vor). Aus dem gemeinsamen Klagen und Fragen nach Sinn ist in der Bibel immer wieder Vertrauen und Handeln gewachsen (- bis hin zum Holocaust?-). Jesus hat mit seinen Leuten darin gelebt. Sind die Psalmen die Mitte der Bibel? Bonhoeffer sagt: “Das Christsein wird heute nur in Zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen.” (Widerstand und Ergebung 1957, S.167)

Aus diesem alten Gottesvolk kommt Jesus als Nachfahre Davids. Von ihm heißt es(Hebr.5,7-9), dass er unter Tränen und lautem Schreien seinen Weg gelernt hat, obwohl er der Sohn Gottes war (- die Könige Israels wurden “Sohn Gottes” genannt seit ihrer Thronbesteigung wie bei den Großkönigen im Alten Orient, Ps. 2,7). Erst dann wurde er zum Urheber unseres Heils. Er sprach die großen “Ich-bin-Worte”. Gegen alle Gewalt diente er in Liebe und Hingabe. Das führte zu seinem Tod. Im Abendmahl mit dem Teilen von Brot und Wein feiert die Gemeinde ihren Herrn; das sind, die auf seinen Namen getauft sind. Er sammelte 12 Jünger, die zu sozialen Konsequenzen bereit waren, zog mit ihnen 3 Jahre lehrend und heilend durchs Land; “Frauen dienten ihnen mit ihrer Habe”(Luk.8,1-3). Er lehrte sie“Unser Vater im Himmel …”.Obwohl sie unterschiedliche, private Interessen hatten und nicht nur einzeln, sondern insgesamt versagten, sprach er ihnen unglaubliche Vollmacht zu: “Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. … Wem ihr Schuld vergebt, dem ist sie vergeben”. Er schickte sie nicht einzeln los, sondern zu zweien, – das ist die kleinste Zelle des neuen Gottesvolkes (Luk.24,13ff, Matth.18,20). Von ihm stammt — wie aus einer anderen Welt – : “Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon”.

Zusammenfassend: Jeder kann in der Bibel nachsehen und daran Anteil haben. Sie ist in der ganzen Welt dasselbe Buch trotz unterschiedlicher Sprachen und Ausgaben. Wenn Menschen, Gläubige wie Nichtchristen und Kirchen, die Bibel nicht weiter nur privat verstehen, sondern als Hilfe für alle Formen von Gemeinde, dann könnte ihre weltweite Rolle für die globalen Krisen, die uns zur Zeit bedrücken, unheimlich wichtig werden: gemeinsames Heil steht in der Bibel vor dem privaten, genau anders herum als wir es erleben. Herausragend wird dies deutlich: